Beschreibung
Als sie ihr gut aussehender, fröhlicher Jugendfreund George Willowby per Brief um Hilfe bittet, zögert Sophia Matthews nicht lange: Sie reist mit ihrer ehemaligen Kinderfrau nach Rampstade, wo sich George im Haus seiner alten, reichen Großmutter aufhält. Nahe ihrem Ziel landet die Kutsche im Straßengraben. Sophia eilt ins verlassene Gasthaus, an dem sie vorbei gefahren waren, um Hilfe zu holen.
Dort trifft sie auf eine Gruppe rauer, ungepflegter, teilweise betrunkener Männer. Vom Wirt keine Spur. Ein Mann mit schwarzem Hut erscheint, den alle „Hauptmann“ nennen. Sophia erkennt, mitten in eine Räuberhöhle gelangt zu sein. Wider Willen ist sie fasziniert von diesem Mann.
Am nächsten Tag erreicht sie Rampstade und erfährt zu ihrer Überraschung, dass George sie bei seiner Großmutter als seine Verlobte ausgegeben hat. Er will sich das Erbe der alten Dame sichern und dabei seinen älteren Bruder und seinen Cousin Max Cristlemaine ausstechen. Seine Großmutter, die ihn für einen Taugenichts hält, will ihm das Erbe nur dann vermachen, wenn er sich passend verheiratet. Sophia sei genau die richtige Braut. Sobald das Testament zu seinen Gunsten vom Notar verfasst worden sei, würden sie die Verlobung wieder lösen.
Sophia, in George verliebt, beschließt das Spiel mitzuspielen. Sicher würde er sich auch in sie verlieben und dann würde die Scheinverlobung in einer wirklichen Ehe münden…
Textauszug
Maskerade in Rampstade – Leseprobe Seite 119
Ich war gut eine halbe Stunde geritten, als ich zu der Stelle kam, an der die Poststraße aus York in die Straße einmündete, an der Grandfox Hall und Rampstade lagen. Alle wollten rechtzeitig beim Galgen eintreffen, um einen guten Platz zu ergattern. Ein uninformierter Beobachter hätte leicht den Eindruck gewinnen können, diese Menschen seien zu einem Jahrmarkt unterwegs. Sie waren fröhlich und gingen lachend und plaudernd ihres Weges. Ganze Familien sah ich die Straße heraufkommen, mit Leiterwagen, in denen sie die kleineren Kinder mitführten. Einige junge Burschen kamen singend des Wegs. Aber auch alte Leute wollten das aufregende Ereignis nicht versäumen. Obwohl sie sich schwer auf ihrem Stock stützen mussten, um den weiten Weg überhaupt zu schaffen. Mir erschien das alles so unwirklich. Es konnte doch nicht sein, dass diese Menschen, all diese einfachen, friedfertigen Menschen, sich daran ergötzen konnten, dass Jojo sterben musste! Konnte ich wirklich nichts anderes tun, als hier hilflos am Straßenrand zu stehen, angerempelt von den Leuten, die sich an mir vorbeidrängten? Während der Mann, den ich liebte, sehnlichst seine Rettung herbeisehnte. War er denn schuldig? Konnte es nicht sein, dass ihm Jim in den Rücken gefallen war? Dass diesem die Treue zu seinem Herrn, dem Earl, letztlich mehr Wert war als die Freundschaft zu einem … Straßenräuber? Doch welchen Plan hätte ich fassen sollen? Was hätte ich allein ausrichten können? Eine einzelne Frau gegen zahlreiche, schwer bewaffnete Bewacher, gegen die große Menschenmenge, die nicht um ihr Schauspiel betrogen werden wollte? Und überhaupt: Was war, wenn Jojo schuldig war? Wenn er wirklich der gemeine Verbrecher war, für den man ihn hielt. „Ach geh schon aus dem Weg mit einem Gaul!“ schnauzte mich ein alter Bauer an. Es war mir nicht aufgefallen, dass sich mitten auf der Straße stand und den Herandrängenden das Fortkommen erschwerte. Entschlossen machte ich kehrt. Ich würde am Straßenrand, etwas oberhalb der Straße, warten. Im Schatten der hohen Bäume, ungesehen von der großen Schar der Schaulustigen. Ich stieg vom Pferd, band dieses an einem Baum fest und wartete. Ich weiß nicht, wie lange ich so dagestanden war und auf die Straße gestarrt hatte. Ich nahm kaum etwas davon wahr, was dort unten vor sich ging. Ich fühlte mich so allein, so verletzt, wie gelähmt, unfähig mich zu bewegen. Da kam plötzlich Leben in die Frauen und Männer am Straßenrand. Sie fingen mit lauter Stimme an, Schimpfworte zu brüllen. Ich blickte hoch und erkannte den Grund ihres Geschreis: Zwei Berittene näherten sich auf der Straße aus York. Gefolgt von zwei mageren Pferden, die einen Wagen zogen. Den Abschluss bilden abermals zwei Berittene, geladene Gewehre im Anschlag. Das konnte nur bedeuten, dass der Delinquent vorbeigeführt wurde. Vorbei an der Menge, vorbei an mir. Hinunter zu dem Platz, wo kaum zwei Meilen von hier der Galgen auf ihn wartete. Bei dem Wagen handelte es sich um ein hohes offenes Gefährt mit Gitterstäben an beiden Seiten. Ich stellte mich auf einen umgelegten Baumstamm, um besser sehen zu können. Doch es war mir nicht möglich, einen Blick auf den Mann im Wagen zu werfen. Das Gedränge am Straßenrand war zu dicht geworden. Zu viele Männer und Frauen verstellen mir die Sicht. Da stürmte ich, ohne lange zu überlegen, nach vorne und drängte mich durch die grölende Menge, die heftig protestierte. Ich kann gerade zurecht, als der Wagen vorbeigezogen wurde. „Mörder!“ schrie der Pöbel. „Mörder!“ Sie griffen nach dem Mann im Wagen, sie zogen ihn an seiner zerlumpten, zerrissenen Kleidung. Sie spuckten ihm mitten ins Gesicht. Ich stand wie versteinert da. Auge in Auge mit dem Mann, der auf dem Boden des Wagens kauerte und dessen grüne Augen unter schweren Lidern verschlagen zu mir herüberglotzten. „Wer ist das?“ wandte ich mich stammelnd an den Nächstbesten.“Wer ist das? Wer ist dieser Mann?“ „Das ist Jonathan Joblins, der Mörder!“ rief man mir zu. „Er wird gehängt!“ rief eine Frau. „Hängt das Schwein!“ rief ein Mann. Das sollte Jonathan Joblins sein? Das konnte nicht Jonathan Joblins sein! Langsam, ganz langsam, während ich zu meinem Pferd an den Waldrand zurückkehrte, begann ich die Wirklichkeit zu begreifen. Dieser Mann, diese zerlumpte Kreatur im Leiterwagen, das war Jonathan Joblins. Das war der verurteilte Mörder. Nicht Jojo. Jojo war kein Mörder. Fassungslos blickte ich dem Wagen nach. Die Menge war dabei sich dem Konvoi anzuschließen, schreiend und kreischend folgte sie ihn zum Richtplatz. Ich blieb alleine zurück. Jojo war nicht Jonathan Joblins. Jojo war kein Mörder. Ich sagte es mir immer und immer wieder vor. Eine Welle der Erleichterung überkam mich. Sie überkam mich so stark, dass ich in Tränen ausbrach und hemmungslos zu weinen begann. „Taschentuch?“ fragte eine wohlbekannte Stimme hinter meinem Rücken.