Workshop von Sophie Berg alias Sophia Farago – veröffentlicht im September 2005 im „LOVELETTER“
(Vorbemerkung: Wenn ich „Autor“, „Held“ und „Leser“ schreibe, meine ich damit natürlich auch „Autorin“, „Heldin“und „Leserin“.)
[b] 1. Die Bedeutung von Dialogen in Romanen[/b]
Während viele Autoren ihre Romane als Beschreibungen von Personen und Handlungen gestalten, in die sie Dialoge einbauen, bilden bei meinen Romanen Dialoge die zentrale Position: Die Handlung baut sich um die Dialoge auf, die
Dialoge treiben die Handlung voran. Personen charakterisieren sich selbst am besten durch ihre Art zu sprechen, Kommentare abzugeben und ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Für Leser ist es spannend, die Charaktereigenschaften der Helden auf diese Weise herauszufinden. Selbst festzustellen, dass eine Heldin witzig und schlagfertig ist, anstatt aus dem Text zu erfahren: „Die Heldin ist witzig und schlagfertig.“
Beispiel
Aus Sophie Berg, „Liebe im Gepäck“, Moments Verlag
(Die Protagonisten sitzen im Flugzeug nach Peking. Er bezeichnet sich als Vielflieger – sie wirft ihm typische Anfängerfehler vor.)
„Ich mache Anfängerfehler? Ich? Welche?“
„Sie wissen nicht, wie man ein Gepäckstück aufgibt, erwarten einen privaten Butler für das Handgepäck, küssen vor lauter Aufregung wildfremde Frauen …“
„Wo? Wann? Ich habe keine einzige wildfremde Frau geküsst, seitdem ich hier im Flugzeug sitze.“
In seinen Augen blitzte es amüsiert.
Und wie er es erwartet hatte, kam umgehend der Protest: „Sie haben MICH geküsst!“
Harry grinste: „ Ja, ja, Sie. Aber Sie sind doch nicht wildfremd. Sie haben mir ein Ticket verkauft. Wir haben schon eine Stunde lang miteinander gesprochen. Glauben Sie mir, ich habe schon Frauen geküsst, die kannte ich nicht einmal fünf Minuten.“
Franziska musste wider Willen grinsen: „Oh, was für ein Weiberheld!“
[b] 2. Der typische Anfängerfehler[/b]
Es ist ein typischer Anfängerfehler zu meinen, man müsse als Autor nach jedem gesprochenen Satz angeben, wer diesen sagte.
Es hat möglichst aus dem Inhalt des Dialogs hervorzugehen, WER WAS sagte. Der Leser soll aus dem Zusammenhang schließen können, WIE jemand etwas sagte. Natürlich ist es bisweilen dennoch notwendig anzugeben, WER ETWAS WIE sagte. Fachleute raten, dabei einfaches, schlichtes „sagte sie“ und „fragte er“ zu verwenden und hier bei der Auswahl des Zeitworts nicht kreativ zu sein („wisperte sie“).
Am schlimmsten sind Sätze wie “Du bist aber groß!“, lachte er. Habt ihr schon einmal einen Mann gesehen, der Sätze lacht?!
Würde ich die Regency Romane der Sophie Farago heute schreiben, würde ich einige der „fragte er“ und „sagte sie“ weglassen. (Beispiel s.u. beim indirekten Dialog)
[b] 3. Die Eigenheiten der Sprechenden[/b] In Dialogen werden alle Eigenheiten, Macken, Ticks und sonstigen Besonderheiten der Figuren deutlich. Um die Unterschiede zwischen den einzelnen Figuren heraus zu arbeiten, ist es für den Autor besonders wichtig, auf diese Besonderheiten gezieltes Augenmerk zu legen. Nichts ist langweiliger, als wenn alle Figuren „die gleiche Sprache“ sprechen, stets die gleichen Wörter verwenden und sich daher in den Dialogen nicht klar unterscheiden. Autoren, denen dies nicht gelingt, müssen ständig „sagte sie“ und „meinte er“ anhängen, damit der Leser sich zu Recht findet.
[b] 4. Wie wird ein Dialog wirklich gut?[/b] James N. Frey, ein amerikanischer Dozent für kreatives Schreiben, kennt in seinem Ratgeber „Wie man einen verdammt guten Roman schreibt“/ Emons Verlag, S 164ff vier Fragen, die sich ein Autor stellen sollte:
1. Liegt hier ein Konflikt vor?
2. Ist das abgedroschen?
3. Kann das nicht besser indirekt gesagt werden?
4. Ist die Zeile so farbig und geistreich wie möglich?
Liegt hier ein Konflikt vor?
Zuerst hat mich Freys Frage „Liegt hier ein Konflikt vor?“ überrascht. Ich dachte, dass es nicht unbedingt eines Konflikts bedarf, um einen guten Dialog zu schreiben. Natürlich stellt sich die Gegenfrage: was bringt ein Dialog, bei dem sich beide Protagonisten ständig einig sind? Wie gelingt es hier den Spannungsbogen aufzubauen? Dialoge leben von Spannung.
Ich kann mir jedoch die Situation vorstellen, dass sich zwei Figuren im Dialog einig sind – und z.B. nicht bemerken, dass sich im Hintergrund etwas ganz anderes zusammenbraut.
Allerdings besteht dann auch hier ein Konflikt, wie ihn Frey gemeint haben wird. In diesem Falle eben der Konflikt zwischen dem Dialog und der Realität im Hintergrund. Ich stimme auch mit Frey überein, dass ein guter Dialog niemals ein harmloses Geplauder ist – auch wenn er sich manchmal als solches tarnen kann. Ein Dialog MUSS die Handlung voran bringen. Ein gekonnter Dialog kann aber auch dazu dienen, Informationen so zu verschleiern, dass dem Leser nicht sofort klar ist, als für wie wichtig, sich diese Information im Laufe des Romans noch herausstellen wird.
Ist das abgedroschen?
Wir haben in unserer Sprache einen derart großen Wortschatz zur Verfügung, dass man sich fragt, warum manche Autoren so wenige diese Wörter verwenden. Nicht nur in den Dialogen, auch in dem Beschreibungen, wimmelt es von Platitüden und alt bekannten Sprüchen. Ist es wirklich originell, wenn die Heldin „Schmetterlinge im Bauch“ hat und „ihr Haar in der Sonne wie Gold glänzt“?
Auch nichtssagende Dialoge wie
„Ist alles in Ordnung?“
„Warum soll nicht alles in Ordnung sein?“
„Ich fragte ja nur, weil es hätte ja sein können, dass etwas nicht in Ordnung ist.“ fallen unter dem Begriff „abgedroschen“. Niemand wird sie vermissen, lässt man sie weg.
Kann das besser indirekt gesagt werden ?
In einem direkten Dialog sagen Personen das aus, was ihnen im Augenblick durch den Kopf geht. Sie unternehmen keinen Versuch zu zögern, zu lügen, Ausflüchte oder einen Witz zu machen. All dies geschieht in indirekten Dialogen. Diese erzeugen daher mehr Spannung, die Figuren wirken lebendiger, origineller, bösartiger oder charmanter.
Beispiel für einen möglichen, direkten Dialog:
(Ein Edelmann und eine junge Dame reiten aus, begleitet von ihrem Stallknecht.)
„Mir wäre lieber, der Stallknecht würde uns nicht begleiten.“
„Es tut mir Leid, Sir, dass er Sie stört. Der Stallknecht ist notwendig, damit die Regeln des Anstands für eine junge Dame gewahrt bleiben.“
„So jung sind Sie doch auch wieder nicht. Sie sind schließlich auch ohne Anstandsdame unterwegs, da Sie Ihre Tante nicht begleitet.“
„Sie haben Recht. Stallknecht! Du kannst zum Ausgang zurückkehren.“
Derselbe Inhalt als indirekter Dialog:
Aus Sophia Farago, „Die Braut des Herzogs“
Sie waren eine Zeitlang schweigend nebeneinander hergeritten, als Wellbrooks wieder das Wort ergriff: „Wird dieser Kerl uns die ganze Zeit verfolgen?“ fragte er* und deutete mit den Kopf auf den nachfolgenden Stallburschen.
Olivia lachte leise auf und sagte dann, sich mit großen unschuldigen Augen an ihren Begleiter wendend: „Aber, das gebietet doch der Anstand, Sir.“
Seine Gnaden grinste: „Ja richtig, das hätte ich beinahe vergessen.“ Er seufzte tief. „So ist es nun einmal, wenn man ein junges Ding, kaum mehr als ein Schulmädchen, zu einem Austritt einlädt. Dann muss man mit einem Stallburschen im Rücken rechnen und eigentlich auch mit einer Anstandsdame.“ Er blickte sich suchend um: „Hat Sie Lady Darlington nicht begleitet, Miss Redbridge?“
„Aber ich bin doch kein junges Ding!“ rief Olivia empört.
Der Herzog blickte ihr tief in die Augen: „Nein?“ fragte er* ruhig.
Olivia erwiderte seinem Blick, drehte sich dann etwas abrupt zu ihrem Stallknecht um: „Du kannst zum Ausgang zurückkehren, John Pilgrim.“
*Anmerkung: mein kritisches Auge von heute würde diese beiden „fragte er“ ersatzlos streichen.
Eine erfreuliche Begleiterscheinung: Durch Dialoge in Romanen, können Autoren endlich so schlagfertig oder charmant sein, wie sie im wirklichen Leben gerne wären. Da sich das mit den Erfahrungen der Leser deckt, lieben diese die indirekten Dialoge.
Ist die Zeile so geistreich und farbig wie möglich ?
Aus den drei vorgenannten Kriterien ergibt sich, dass Autoren Dialoge meist ausgiebig überarbeiten und lange an ihnen feilen müssen. Am besten ist es, wenn man die Worte zur Überprüfung laut ausspricht. Dadurch kann man feststellen, ob sie authentisch klingen.
[b] 5. Diskrepanz zwischen Gedanken und gesprochenen Worten:[/b] Eine Person wird auch dadurch besonders lebendig, wenn der Leser Einblick in ihre Gedankenwelt bekommt. Spannend wird es vor allem dann, wenn die Gedanken mit den gesprochenen Worten im Widerspruch stehen. Oder wenn die Figur vorhatte etwas „Vernünftiges“ zu sagen, und ein ganz anderes Ergebnis dabei herauskommt:
Beispiel: aus Sophia Farago“ Schneegestöber“ Seite 141
Kitty flirtet schamlos mit dem Earl of St. James. Ihre vernünftige Freundin Mary Ann will eingreifen:
Wie kam dieser arrogante Mensch dazu, zu schamlos mit Kitty zu flirten? Und wie kam dieses kleinen Biest dazu, sich auf dieses gewagte Spiel einzulassen? Mit ihrem eigenen Vormund! Da hieß es einzugreifen, bevor es zu spät war. Sie musste etwas Passendes sagen. Etwas, das die beiden veranlasste, ihre Aufmerksamkeit auf profanere Dinge zu lenken. Was sagt eine vornehme Lady nur in dieser Situation?
„Ist dir eigentlich noch schlecht, Kitty?“, war das erste, das ihr einfiel.
[b] 6. Was sollte der Autor in einem Dialog sonst noch beachten?[/b]
Achtung bei der Wortwahl!
Es ist nicht nur wichtig, dass ein Satz originell oder schlagfertig ist, er muss auch zur Figur passen, die ihn ausspricht.
Beispiel: Die greise Lady führt ein wichtiges Gespräch mit der Verlobten ihres Enkels, als das Eintreffen des Arztes gemeldet wird. Sie lässt sich nur ungern unterbrechen, doch der Arzt hat es eilig.
Welche Worte wird sie wohl wählen?
„Ich muss gehen. Der Arzt wird mich untersuchen. Er hat es eilig.“ (vielleicht passend, aber farblos und sicher nicht geistreich.)
„Jetzt will dieser alte Quacksalber schon wieder an mir herumfummeln! Das kann ihm gar nicht schnell genug gehen!“ (Wohl kaum die passende Wortwahl für eine alte Dame.)
„Ich darf den Arzt nicht unverrichteter Dinge wegschicken. Ich fühle mich noch nicht ganz gesund.“ (Sophia Farago,“ Maskerade in Rampstade“)
Achtung bei Vergleichen!
Auf Vergleiche, die ohnehin schon jeder tausendmal gehört hat („Zart wie eine Feder.“ „Arm wie eine Kirchenmaus“), kann jeder gerne verzichten.
Frey verbietet zu viele Vergleiche nacheinander zu setzen, wie z.B.:
„Du bist so muskulös wie Schwarzenegger, so groß wie Michael Jordan, mit blauen Augen wie Mel Gibson, einem Hintern wie Jon BonJovi und hast eine Verstand wie Albert Einstein.“
Anmerkung: Schade, dass Frey das verbietet, ich würde so einen Mann gerne kennen lernen .
Verzichten Sie auf Fremdwörter und Anspielungen, die viele Leser nicht verstehen. Wenn derartiges in Dialogen vorkommt, muss der Sinn im Text unbedingt erklärt werden.
Verwenden Sie keine Vergleiche, die falsche Assoziationen wecken:
„Dein Kleid aus fließender Seide umhüllt deine zarte Figur, die kleinen Punkte errinnern an Windpocken.“
Schlecht sind auch Vergleiche, unter denen man sich nichts vorstellen kann: „Diese Straße hier erinnert mich an die Mozartstraße in Grein an der Donau.“ – wenn hier nicht Näheres erklärt wird, tappt der Leser im Dunkeln.
Übertriebene Vergleiche machen Leser ärgerlich: „Du bist so schön, wie der größte Stein in der Krone der Königin Saba, der strahlender leuchtet, als der größte Stern am Firmament über der Wüste Sahara …“
Achtung bei Dialekt in Dialogen!
Durch die richtige Wahl von Dialekten, können sich die einzelnen Figuren gut voneinander unterscheiden. In historischen Romanen werden vor allem Diener und „Menschen aus dem einfachen Volk“ Dialektausdrücke verwenden.
Wichtig ist jedoch, dass der Autor, der Dialekt als Stilmittel einsetzt, dies nur in dem Maße tut, die dem es dem Leser möglich ist, den Inhalt dennoch zu verstehen. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an die Romane von Hera Lind. Einige ihrer Figuren sprachen tiefsten Dialekt, der mir als Österreicherin nicht geläufig war. Ich habe diese Passagen laut gelesen, um sie einigermaßen verstehen zu können. Und war dennoch in vielen Fällen ratlos.
Achtung bei Dialogen in historischen Romanen!
Durch Dialoge in historischen Romanen treten die hierarchischen Unterschiede besonders plastisch zu Tage. Mit Untergebenen hat man in den meisten Zeitepochen anders gesprochen als mit „seinesgleichen“. Es ist wichtig, dass der Autor die richtige Wortwahl kennt, um so die Zeit, in der seine Figuren leben, wirklichkeitsnahe wiederzugeben.
[b] Zusammengefasst gilt der Grundsatz: je spannender, lebendiger, origineller und farbiger und zu den Figuren passend ein Dialog ist, desto größer ist das Vergnügen beim Lesen. [/b]
© Sophie Berg, 2005